Silverrudder 2022 mit „Ronja“

Silverrudder 2022 mit „Ronja“
Blick auf die Steganlage

Das Wasser ist unruhig, kleine Wellen klatschen aus verschiedenen Richtungen gegen das Boot, das mit über 6 Knoten auf die Startlinie zurauscht. Der Wind ist besonders in den Böen recht kräftig und kommt achterlich. Um mich herum segeln 67 andere Boote meiner Startgruppe. Ich schaue an backbord achteraus, ob weitere Boote aus Richtung des Stadthafens kommen – da springt ein Delphin eine Art Salto!…

Zum vierten Mal starte ich beim Silverrudder, der wohl nach Anzahl der Boote größten Einhandregatta der Welt. Obwohl es eigentlich gar keine echte Regatta ist. Es trägt den Untertitel „Challenge of the Sea“, was viel treffender ist. Es ist in erster Linie eine Herausforderung. Von der Kombination Boot und Mensch gegen die Strecke und die Bedingungen.
Aber auch die Herausforderung, die man an sich selbst stellt. Man lernt dabei ja auch, wie man selbst reagiert wenn man z.B. über 24 Stunden nonstop alleine segelt. Vielleicht lernt man – wie ich – dass der Schlafmangel gar kein so großes Problem ist. Jedenfalls gilt in dieser Veranstaltung noch viel mehr als bei normalen Regatten: Man muss überhaupt erstmal in das Ziel kommen.
Immer an einem Freitagvormittag, der dicht an der Tag- und Nachtgleiche im September liegt, starten ein paar hundert Boote vor Svendborg, um nonstop und einhand um die Insel Fünen zu segeln. Meistens gegen den Uhrzeigersinn, aber es kann auch anders kommen. Man erfährt die Richtung auf dem großen Skippersmeeting am Donnerstagabend, das Infoveranstaltung, Entertainment und allgemeines Treffen der Segler miteinander verbindet.

Überhaupt ist das Treffen anderer Segler, das Anschauen anderer Boote und deren manchmal recht findiger und spezieller Ausrüstung ein großer Teil des Events. Das sollte man sich als Teilnehmer auf keinen Fall entgehen lassen. Hier trifft man viele erfahrene Segler, die durch mehrfache Teilnahme schon abgebrüht sind. Aber auch den neuen Starter, der nervös und aufgeregt ist. Weil das Kommende eben doch deutlich außerhalb der eigenen Komfortzone liegt.
Die Organisation des Silverrudders erfordert mittlerweile die Hilfe von über 100 Freiwilligen, für die das ganze mittlerweile ein großer Höhepunkt im Jahr ist. Die Stadt Svendborg vermarktet die Veranstaltung auch touristisch und die Sponsoren des Rennens kommen offenbar teilweise von sich aus auf den veranstaltenden Svendborg Amatör Sejlclub zu. Die Helfer schaffen im Hafen eine ganz hervorragende Willkommenskultur.

Silverrudder 2022 mit „Ronja“
Blick auf den Eingangsbereich


Auch zwischen den Teilnehmern wird sich immer geholfen, man achtet aufeinander. Vor allem im Hafen, aber auch auf See. Es ist ein Segeln miteinander, nicht gegeneinander. Die ersten zwei Male habe ich es nicht in das Ziel geschafft. 2017 gab es zu wenig Wind (siehe hier: Silverrudder 2017 Friday – YouTube oder hier: The Hard Bastards Association – Seascape Silverrudder 2017 – YouTube). 2018 gab es zu viel Wind (siehe hier: Silverrudder 2018 – Svendborgsund – YouTube). 2019 ging es dann erstmalig bis ins Ziel bei teils kräftigem Wind (siehe hier: Silverrudder 2019 – A quick recap of the Race – YouTube). Meine Zeit (27h57min) war nicht sehr gut, aber ich hatte eben auch einige Probleme unterwegs, die bremsten. Ein etwas verschleppter Tennisarm war auch nicht förderlich. Ich lernte, dass gute Vorbereitung sich wirklich auszahlt. Einerseits muss man auf eine weite Spanne von Windbedingungen vorbereitet sein.
Starkwind und Leichtwind, alle denkbaren Kurse zum Wind. Die Bedingungen auf dieser Distanz zu dieser Jahreszeit sind nun mal normalerweise nie stetig. Dazu muss man sich Gedanken über das Handling und die Ergonomie an Bord machen. Dazu gehört das Wechseln und Bedienen von Segeln, aber auch die Frage, wo und was man an Essen und Getränken bereithält. Auch bei Nässe an Deck. Wie kriegt man bei rasanten Bedingungen die Navigation gerade in den engeren Passagen und bei Dunkelheit hin? Ist mein Autopilot in der Lage, mich bei den meisten Bedingungen zumindest kurz zu vertreten? Auch die Stromversorgung ist nicht ganz trivial: es muss für mindestens 30 Stunden (besser mehr) Strom für alle üblichen Verbraucher (Navi, Echolot, Autopilot usw.) geben, sowie mindestens 12 Stunden für die Positionslampen. Das kann die normale Installation, die für normale Sommertörns immer reicht, überfordern.

Für Ronja habe ich zum Beispiel eine Art kleine weiche Hutze genäht, die den Niedergang trockener hält bei Regen und Spritzwasser. So muss ich den Niedergang nicht komplett verschließen und wenn ich etwas unter Deck zu erledigen habe, geht es viel schneller. Heißes Wasser ist in der Thermoskanne, Snacks und kalte Getränke liegen in einer wasserfesten Box bereit. Lifeline, Handscheinwerfer, Funkgerät, PLB, Kopflampe usw. liegen von Anfang an im Cockpit.

Für die Stromversorgung habe ich zusätzlich ein mobiles Solarpanel, das tagsüber schon den Verbrauch entlastet. Dazu ist natürlich fast alles – vor allem die Posis – auf LED umgestellt. Ich hatte diesmal sogar eine kleinere Ersatzbatterie mitgenommen, die ich aber nicht brauchte.

Zusätzlich zum einfachen Autopilot (Raymarine 1000+) habe ich eine Art verstellbaren und etwas nachgiebigen Pinnenfeststeller. Den kann ich sogar so vorspannen, dass er bei Ruderdruck den Autopiloten ein wenig entlastet.

Das Silverrudder ist auch beliebt bei Segelmachern: Selten sieht man so viele Code0, Gennacker usw. wie bei dieser Veranstaltung. Noch so eine Lehre: Will ich gut durchkommen, muss ich in der Lage sein, ein großes Vorwindsegel zu setzen. Auch wenn ich schon müde bin.

Bei großen Booten braucht es da schnell mal teure Rollanlagen (zusätzlich zu den teuren Segeln). Auf einem kleinen Boot wie der Express kann man alleine ganz gut den Spi fahren. 2022 war es schon schwierig, die richtigen Segel am Start oben zu haben. Wer sich das Startvideo (siehe hier: Silverrudder 2022 START 10:00 – YouTube) ansieht, der findet volle und gereffte Großsegel, große und kleine Vorsegel, ein paar wenige Gennacker und Code- Segel. Die meisten ließen es halbwegs konservativ angehen, zumal man sich mit einer Ramming – die tatsächlich bei den größeren Booten passierte – ja schnell den Tag versauen kann.

Deshalb hatte ich mich am Start schon etwas nach hinten sortiert, um Ärger aus dem Weg zu gehen. Das allgemeine Geschlängel nach Osten aus dem Sund war nicht schwierig, bei Thuroe Rev wurde mal wieder großzügig abgekürzt, aber ich war auch dort eher vorsichtig. Bei Westnordwestwind ging es flott an Lundeborg vorbei Richtung Große-Belt-Brücke. Das ist für mich immer der erste echte Meilenstein. Für mich wird die Strecke überschaubarer, wenn ich sie in Gedanken in Abschnitte teile. Nördlich der Brücke wurde der Wind etwas spitzer und später nahm er deutlich ab. Später hörte ich, dass Boote hinter uns – vor allem aus späteren Starts – Probleme hatten, die Brücke bei dem leichten Wind und Gegenströmung zu passieren.
Es folgte eine Leichtwindkreuz Richtung Romsö. Ich hielt zunächst trotz Gegenströmung stramm Steuerbordbug, um nach Norden zu kommen. Sebastian Wache hatte beim Wetterbriefing am Vorabend zwischenzeitlichen Nordwind angesagt. Der kam leider nie. Ich hatte das Gefühl, Romsö ungefähr einen halben Tag lang direkt vor mir zu haben, zumal die Luft sehr klar und die Sicht hervorragend war.

Silverrudder 2022 mit „Ronja“
Morgenstunden auf der Albin Express “Ronja”


Irgendwann kam ich zwischen Romsö und Fünen durch und die letzten Meilen nach Fynshoved standen an. Mittlerweile wurde es dunkel und der Wind aus Nordwest nahm zu. Es ging durch das kleine Fahrwasser am Riff und dann war schon der zweite Meilenstein geschafft.
Zum Glück wusste ich noch nicht, wie mühsam die nächsten Meilen werden würden. Eine üble kurze Welle bei bis etwa 25 Knoten Wind von vorne brachten einen sehr stolperigen Ritt, bei dem das Boot immer wieder gebremst wurde. Noch etwas, was ich gelernt hatte: Man glaubt immer, man wäre der einzige, der nicht vorankommt. Meistens haben die anderen ja ähnliche Probleme. Vermutlich hatten wir etwas Mitströmung, also Strom gegen Wind.
Es spritzte und knallte und klapperte und hinterher fand ich ein Bodenbrett, das aus seiner Position geflogen war. Aber irgendwann hatte ich Meilenstein 3 geschafft und war an Aebelö vorbei. Ein kleiner Schtrick in die Schoten, ein wenig abfallen und es ging flotter vorwärts. Bei Middelfart war auch endlich die üble Welle weg und es ging mit etwa 2,5 bis 3 Knoten Strömung im Rücken schnell durch den Zickzack.

Als ich südlich von Faenö in den Kleinen Belt kam, musste ich mich entscheiden: Entweder mit weißen Segeln bei etwa 4 Windstärken auf Halbwindkurs Autopilot an, eine ruhige Kugel schieben und versuchen, mich zu erholen, zu essen und zu trinken. Oder noch etwas riskieren. Also Spi hoch, Pinne und Spischot in die Hände und los geht es.

Die Müdigkeit ist spontan weg, obwohl es morgens gegen 4 Uhr noch stockdunkel ist. Die Geschwindigkeit über Grund liegt jetzt öfters über 8 Knoten und ich beginne blöderweise, zu überlegen, wann ich im Ziel sein könnte.
Schnell sind Baagö, Assens und Helnäs passiert. Als es dämmert, ist es nicht mehr weit bis Lyö. Ich traue mich bei dem Wind und der Welle nicht, den Spi einhand zu schiften und nehme ihn lieber kurz runter. Ich setze ihn wieder auf Steuerbordbug und sehe mich im Hellen erstmal um, wen ich in der Nähe habe. Zu dieser Zeit ist das Feld schon sehr durchmischt.
Bis hinter Skarö hält sich ein schöner Wind, der aber schon bei Rantzausminde schwächelt. Dazu kommt eine Gegenströmung, der man nicht so leicht entkommt. Die Boote klumpen geradezu zusammen in den flauen Bedingungen. Es sind bei Iholm Boote aus fast allen Startgruppen zusammen: X-442, First 31.7, Dragonfly 25 Sport, Comfortina 38, Archambault Surprise, X-79, Express.
Die letzten Meilen sind bei mir von einer leicht fatalistischen, humorigen Einstellung geprägt: „Nützt ja nix!“ Man tut sein Bestes, während man nur noch die letzten Meter ins Ziel will. Wir versuchen mit mehreren Booten dicht am Rundhafen von Svendborg vorbeizukommen. Fast gelingt es, dann ist der Wind alle und wir treiben alle rückwärts. Ich sehe ein anderes Boot, das vorher schon geschickt durch die Strömung gekommen ist, auf der rechten Seite einen großen Bogen fahren. Der fährt die Außenkurve am Rande des Fahrwassers voll aus und bewegt sich in die richtige Richtung. Also motiviere ich die Boote rechts von mir, auch dorthin zu kriechen. Ich bin ja längst im Stau eingekeilt.
Wir schaffen es – um 12:07 Uhr bin ich im Ziel. Ich war 25h37min auf der Bahn und damit über 2 Stunden schneller als 2019. Eine Verbesserung meiner Zeit von 2019 war mein Ziel. Ein richtig gutes Gefühl stellt sich ein. Ich weiß aus Erfahrung, dass das Silverrudder ein paar Tage im Kopf nachschwingt bei mir. Man hat so viele Eindrücke, so viel erlebt und gesehen. Und auch so viele interessante Leute getroffen. Nach ein paar Tagen verwandelt sich das in eine richtig gute, warme, weiche Erinnerung, die man ganz lange behält. Hier eine kleine Zusammenfassung: Silverrudder 2022 Official Aftermovie – YouTube


Der Delphin vom Start heißt dort übrigens „Delle“ und hat im Svendborgsund offenbar schon eine Weile lang seinen festen Wohnsitz. Vielleicht wollte er uns alles Gute wünschen?!


Holger Rövensthal
Albin Express GER 518 “Ronja”
Weitere Info: silverrudder.com

Silverrudder 2022 mit „Ronja“
Blick in den Hafen
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